Friday, 29th March 2024
29 März 2024

Abschiedsrede des Verfassungsdienstchefs: Maaßen-Affäre befeuert Debatte über Seehofer

„Linksradikale Kräfte“: Maaßen wird vermutlich doch nicht Sonderbeauftragter

Wie Ministeriumssprecher Sören Schmidt sagte, prüft sein Ressort jüngste Äußerungen Maaßens. Im Kern gehe es um eine Abschiedsrede, die Maaßen im Oktober beim Treffen der Chefs der europäischen Inlandsgeheimdienste gehalten habe.

Hans-Georg Maaßen: Mit diesen Aussagen trat der scheidende Verfassungsschutz-Chef nach. (Quelle: Reuters)


Hans-Georg Maaßen löst mit seiner Abschiedsrede neue Empörung aus. Aus seinem Wechsel ins Innenministerium dürfte nun nichts mehr werden. Und was bedeutet das für seinen Schutzherrn Horst Seehofer?

Am Ende wird es wohl eine Rede im geheimnisumwitterten „Berner Club“ gewesen sein, die die einst so glanzvolle Karriere von Hans-Georg Maaßen als Spitzenbeamter beendet. Am 18. Oktober hält der ohnehin schwer umstrittene Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) in Warschau im Kreis von Kollegen der EU-Inlandsgeheimdienste plus Norwegen und der Schweiz eine Art Abschiedsrede. Der Club ist so geheim, dass er offiziell gar nicht existiert. Von der Rede Maaßens kann das nicht gesagt werden.

Maaßen sorgt quasi selbst dafür, dass seine Worte publik werden. Die Zeilen des 55-Jährigen haben es in sich – und sie dürften dafür sorgen, dass er sich nun doch nach einer neuen Aufgabe in der Privatwirtschaft wird umschauen müssen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat der BfV-Präsident den Amtskollegen in der polnischen Hauptstadt seine Sicht der Hintergründe seiner Demission als Behördenchef geschildert – ungeschminkt.

Glaubt man dem, was über den Inhalt der Rede erzählt wird, sprach Maaßen von linksradikalen Kräften in der SPD, die von vornherein gegen die große Koalition eingestellt gewesen seien. Seine Äußerungen zu den Vorfällen in Chemnitz seien für diese Kräfte willkommener Anlass gewesen, einen Bruch der ungeliebten großen Koalition zu provozieren.

Rede landet im Intranet – und wird nach außen gegeben

Dann soll der oberste Verfassungsschützer der Bundesrepublik sich selbst gewürdigt haben: Er sei in Deutschland als Kritiker einer naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik bekannt, wird Maaßen zitiert. Dies sei für seine politischen Gegner und einige Medien Anlass gewesen, ihn aus dem Amt zu drängen.

Seit dem 24. Oktober soll die Rede Maaßens nach dpa-Informationen unter der Rubrik „Die Amtsleitung informiert“ im geschützten Bereich des BfV-Intranets für alle Mitarbeiter zu lesen gewesen sein. Aus dem Geheimdienst heraus, so ist weiter zu hören, sollen die umstrittenen Inhalte der Maaßen-Rede dann nach außen kolportiert worden sein. Zwar dürfen die BfV-Mitarbeiter eigentlich keine (Foto)-Handys mit ins Büro nehmen – doch das ist oft nicht wirklich zu kontrollieren. Und dass jemand den Text abgeschrieben und weitergegeben hat, ist ohnehin nicht zu verhindern, heißt es in Kreisen, die sich da auskennen.

Es dauert nicht lange, bis auch Maaßens Dienstherr, der taumelnde Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer, sowie für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständige Bundestagsabgeordnete von der Sache Wind bekommen. Seit Ende vergangener Woche sei die Sache intern schon ein Thema, ist zu hören.

Seehofer will sich nicht äußern – vorerst 

Seehofer wollte sich am Rande einer Parteiveranstaltung in München nicht zu den Vorgängen äußern. Aus den Reihen des Bundestags bekommt man aber eine schnörkellose Einschätzung der Lage Maaßens zu hören: Politisch sei der Mann nicht mehr zu halten. Sollten die aus Warschau überlieferten Äußerungen zutreffen, gingen sie weit über das hinaus, was sich ein Verfassungsschutzpräsident leisten dürfe. Der Mann mache ja „Politik pur“.

Aus SPD, CDU und der Opposition kam deutliche Kritik an Seehofer, der lange gegen die Ablösung Maaßens war. SPD-Fraktionsvize Eva Högl wies darauf hin, dass ihre Partei schon vor Wochen Maaßens Entlassung gefordert habe – „wegen seiner problematischen Äußerungen nach den Ereignissen in Chemnitz und seiner sichtbaren Neigung zu rechtspopulistischen Ansichten“, wie sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte. Nun sei offensichtlich auch Seehofer zu der Einsicht gekommen. „Das geschieht nur sehr spät und macht auch Herrn Seehofer zum Verlierer des Abends.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg sagte mit Blick auf Seehofer: „Das war keine klare Amtsführung.“ Er könne verstehen, dass Maaßen nichts daran setze, Sonderbeauftragter zu werden. „Das ist ja auch eher ein Abschieben“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte im ZDF: „Das ist an Absurdität nicht zu überbieten, was wir da mit Herrn Maaßen und den Reaktionen darauf erlebt haben, dass man, wenn man Fehler macht, noch befördert wird.“ Dieser Stil müsse ein Ende haben.

Grüne fordern Sondersitzung 

Die Grünen im Bundestag verlangen nun eine Sondersitzung des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste zu den neuen Vorwürfen gegen Maaßen. Die FDP schloss sich der Forderung an. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sagte: „Herr Seehofer muss endlich eine Entscheidung treffen, damit diese Angelegenheit vom Tisch ist, die schon viel zu lange die Handlungsfähigkeit der Regierung lähmt.“

Linken-Fraktionsvize André Hahn erklärte dagegen, eine Sondersitzung des Kontrollgremiums halte er für entbehrlich. Am Mittwoch tage ohnehin der Innenausschuss des Bundestages. „Dort sollte sich dann auch Horst Seehofer erklären und am besten gleich mit seinen Hut nehmen, nachdem er Maaßen bis zuletzt in Schutz genommen hatte.“

Kurze Rückblende: Seehofer hatte sich lange gegen eine Ablösung Maaßens an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes gesträubt. Der Streit hatte im September eine Koalitionskrise ausgelöst, die fast zum Bruch der Regierung führte. Im Zentrum stand die Äußerung Maaßens, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ vor, dass in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer stattgefunden hätten. In Chemnitz war am 26. August ein 35-jähriger Deutscher mutmaßlich von Asylbewerbern erstochen worden, danach kam es zu ausländerfeindlichen Übergriffen.

Am 23. September hatten sich die Koalitionsspitzen nach tagelangem Streit noch darauf geeinigt, dass Maaßen ins Bundesinnenministerium versetzt wird. Dort sollte der 55-Jährige Sonderberater im Rang eines Abteilungsleiters werden und genauso viel verdienen wie bisher. Die ursprünglich von Seehofer geplante und von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chefin Andrea Nahles abgesegnete Beförderung zum Innenstaatssekretär mit höheren Bezügen war damit vom Tisch. Und auch ein Bruch der Koalition wegen der Personalie Maaßen war zunächst abgewendet.

Maaßen sollte im Ministerium für europäische und internationale Aufgaben zuständig sein, hatte Seehofer damals angekündigt. Doch es war in Berlin ein offenes Geheimnis, dass der Karrierebeamte nicht gerade begeistert über die künftigen Berufsaussichten war.

Anschlussbeschäftigung kommt wohl nicht mehr infrage

Am Sonntag hieß es dann zunächst aus Sicherheitskreisen, das Innenministerium bereite die Entlassung Maaßens vor – was ein sehr scharfes Schwert mit erheblichen Einschnitten in die Versorgungsbezüge des Bundesbeamten wäre. Eine Anschlussverwendung als Sonderbeauftragter komme nicht mehr infrage, weil er massive Kritik an Teilen der Koalition geäußert und seine schon früher von ihm selbst vor Bundestagsgremien relativierten Äußerungen zu den „Hetzjagden“ von Chemnitz erneut massiv verteidigt habe. Das Vertrauensverhältnis sei nun endgültig gestört.

Maaßen hatte sich damals in einem Zeitungsinterview dagegen verwahrt, die in einem Video zu sehenden Vorgänge in Chemnitz als „Hetzjagd“ zu bezeichnen. Vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei dem Video „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Tatverdächtig sind Asylbewerber. Nicht nur in der Opposition, sondern auch in Regierung und Bundestag hatte damals kaum jemand Verständnis für Maaßens relativierende Einschätzungen.

Seehofer steht spätestens seit dem CSU-Absturz bei der bayerischen Landtagswahl auch als Parteichef massiv unter Druck. In der CSU wird inzwischen fest damit gerechnet, dass er als CSU-Vorsitzender zurücktritt. Wie er weiter mit der Causa Maaßen umgeht, blieb zunächst offen. Als wahrscheinlich galt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur vom Sonntagabend eine Versetzung des Verfassungsschutzchefs in den einstweiligen Ruhestand.

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