Thursday, 28th March 2024
28 März 2024

Existiert in Deutschland eine rechtsextreme Schattenarmee?

Schatten von Soldaten der Bundeswehr: Medienberichte nähren den Verdacht, dass ein kleiner Teil der Sicherheitskräfte ein rechtsextremes Netzwerk aufgebaut haben könnte. (Quelle: Jens Wolf/dpa)

Soldaten, Polizisten und Geheimdienstleute: Bereiten sie sich auf den „Tag X“ vor, an dem sie politische Gegner beseitigen – und die Macht übernehmen? Medien berichten über auffällige Indizien. 

Calw in Baden-Württemberg, Graf-Zeppelin-Kaserne: Am 15. September 2017 rückt das Bundeskriminalamt an und will in der Kaserne des Kommandos Spezialkräfte drei Soldaten als Zeugen vernehmen. Es geht um den Fall Franco A., jenen Oberleutnant, der sich eine Identität als syrischer Flüchtling verschafft hat, durch eine auf dem Flughafen Wien versteckte Pistole aufgeflogen ist und laut Anklage aus rechtsextremer Gesinnung einen Anschlag geplant haben soll. Er soll über Chat-Gruppen oder auch persönlich Kontakt zu den KSK-Soldaten gehabt haben.

Warnte ein MAD-Mann vor der Razzia?

Doch der Polizeieinsatz wird vorher bekannt. Die Durchsuchung soll durchgestochen worden sein. Vor dem Amtsgericht Köln ist deswegen nun ein Oberstleutnant des Militärischen Abschirmdienstes wegen Geheimnisverrats angeklagt. In seiner Vernehmung durch die MAD-Wehrdisziplinaranwaltschaft bestreitet er das aber vehement. Zur Vernehmung geladen war auch eine Auskunftsperson des MAD im KSK. Die Details sollen in einer Verhandlung vor dem Amtsgericht aufgeklärt werden. Der Termin steht noch nicht fest.

Die KSK-Einheit ist militärische Elite und genießt über die Bundeswehr hinaus großes Ansehen. Es gibt auch dunkle Flecken, wie eine Abschiedsfeier im April 2017 für einen KSK-Kompaniechef, bei der rechtsextremistische Musik gehört und der Hitlergruß gezeigt worden sein soll. Deswegen hat ein Gericht inzwischen einen Strafbefehl erlassen. Mit den Ermittlungen zu Franco A. hat dies jedoch nichts zu tun.

Prepper bereiten sich auf „Tag X“ vor

Die Ermittlungen wegen des Terrorverdachts reichen aber bis nach Mecklenburg-Vorpommern, wo die Polizei im August 2017 Wohnungen und Büros von sechs sogenannten Preppern durchsuchte. Prepper bereiten sich mit Vorräten auf schwere Krisen oder einen Zusammenbruch staatlicher Strukturen vor – teils kalkulieren sie dabei auch den Einsatz von Schusswaffen ein. Die Verdächtigten im Norden – darunter ein Polizist, ein Rechtsanwalt und ein Bundeswehr-Reservist – sollen sich zu einer Gruppe names „Nordkreuz“ zusammengeschlossen haben. Ermittler des Bundeskriminalamtes haben dazu 2017 zahlreiche Zeugen vernommen.

In den Vernehmungsprotokollen, die der dpa vorliegen, machen Zeugen Angaben zu mehreren Chat-Gruppen, in denen Szenarien für den Fall eines Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung diskutiert werden. Als Auslöser für eine solche Situation werden eine Zunahme von Anschlägen und die weitgehend unkontrollierte Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge angenommen. Wie genau ein solcher „Tag X“ festgestellt werden soll, darüber gibt es nach den Aussagen aber keine Einigkeit. 

Sollten politische Gegner ermordet werden?

Geprüft wird von der Ermittlern der Verdacht, es gebe Todeslisten mit den Namen politischer Gegner aus dem linken Spektrum. Allein: Die Ermittlungen laufen noch; gerichtsfeste Beweise fehlen bislang, heißt es aus Ermittlerkreisen. In der taz hieß es, es sei in persönlichen Treffen darüber gesprochen worden, politische Gegner mit Lastwagen zu deportieren und zu ermorden.

Gab es Vorbereitungen für eine rechtsextreme Schattenarmee, die auf einen „Tag X“ eingestellt ist und Morde an politischen Gegnern in Planspiele einbezieht? Mehrere Medienberichte legen diesen Verdacht nahe. Im Zentrum der Berichte: ein Ex-KSK-Soldat mit dem Decknamen „Hannibal“. Nach Informationen der „Welt“ hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet, weil das BKA bei einer Durchsuchung Übungshandgranaten und Zünder der Bundeswehr gefunden habe. 

Verdächtige hatten Kontakt zu einem Verein

Nach den Berichten von „taz“ und „Focus“ steht auch der Verein Uniter im Feuer, ein Zusammenschluss von Leuten aus dem staatlichen und privaten Sicherheitsbereich, der Diskussionsrunden zu dem Thema und eine Art Stellenbörse organisiert, aber auch karitativ tätig ist – und Schießtrainings anbietet. Über Chat-Gruppen habe es Kontakte zwischen Spezialeinheiten und der Prepper-Szene gegeben, heißt es in den Medienberichten.

Uniter wurde nach eigenen Angaben 2010 aus zwei Netzwerken für Kommandoeinheiten der Bundeswehr und Polizei sowie einer Gruppe aus dem europäischen Nato-Kommando „Shape“ gegründet. Er wurde demnach später für Interessierte über Spezialkräfte hinaus geöffnet und hat jetzt mehr als 1800 Mitglieder. Die Vereinsführung weist Verbindungen in kriminell-extremistische Strukturen energisch zurück und kritisiert, inzwischen hätten mindestens vier Mitglieder wegen der Verdächtigungen ihre Arbeitsstellen verloren.

Opposition drängt auf konsequente Aufklärung

Bei der Generalbundesanwaltschaft hat es 2017 zu Uniter einen sogenannten Beobachtungsvorgang gegeben. „Beobachtungsvorgang“ steht deutlich vor Ermittlungen. Formal wird damit geprüft, ob ein Anfangsverdacht vorliegt. Denn Franco A. hatte Abzeichen von Uniter. Allerdings könne man diese kaufen, und Franco A. sei kein Mitglied gewesen, teilt der Verein mit.

Die Opposition hat rechte Netzwerke auf die politische Tagesordnung gesetzt. Auf Drängen der FDP sollen der Verteidigungs- und Innenausschuss gemeinsam über das Thema beraten. Adressat der Forderung ist das Verteidigungsministerium. Aus der CDU wird vor einem Generalverdacht gegen Soldaten gewarnt.

Ermittlern fehlen die Beweise

Militärexperten melden zudem Zweifel an, ob mehrere Fälle zu einem Puzzle zusammengelegt werden dürfen. Wenn – als Teil einer Schattenarmee – mehrere hundert Mann unter Waffen wären und Pläne für einen Umsturz hätten, gäbe es Hausdurchsuchungen und Festnahmen, sagt ein mit dem Ermittlungsstand zum Fall Franco A. und Verbindungen in die Prepper-Szene vertrauter Experte. Und auf den Verein bezogen sagt ein Offizier, es gebe keine Erkenntnisse, dass der Organisation etwas vorzuwerfen sei.

Die Behörden haben einige Schlüsse gezogen, als das Problem erkannt wurde, dass Reservisten durch das Kontrollsystem schlüpfen könnten, weil sie weder der Bundeswehr noch dem Zivilleben richtig zuzuordnen sind. Eine „Arbeitsgruppe Reservisten“ verbindet inzwischen den Verfassungsschutz mit dem MAD.

Was ist erlaubt, was strafbar, was ist politisch nicht akzeptabel? Die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 hat auch in den Behörden zu leidenschaftlichen Debatten geführt – teils hinter vorgehaltener Hand. Oder auch öffentlich, wie durch den inzwischen als Chef des Inlandsgeheimdienstes abgelösten Hans-Georg Maaßen, dessen Name bei manchen in den Sicherheitskräften – ungeachtet der heftigen Kontroversen um seine Desinformationen zu Chemnitz – noch immer einen guten Klang hat.

Mitte November musste MAD-Chef Christof Gramm dem Parlamentarischen Kontrollgremium die Lage erläutern. Gewaltbereite Netzwerke in der Bundeswehr gebe es nicht, sagte er. Allerdings sei die Identifizierung von Rechtsextremisten früher leichter gewesen. Es sei schwieriger geworden, eine „gerichtsfeste Trennlinie zwischen meinungsstark und extremistisch zu ziehen“.

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