Friday, 29th March 2024
29 März 2024

So verstörend ist die merkwürdigste aller Metalcore-Bands

Sie besangen ihre Sehnsucht nach dem Tod, weil sie mit Jesus Christus Händchen halten wollten. Sie drehten befremdliche Videos. Ihr Keyboarder war von einem Dämon besessen. Alles an Underoath war merkwürdig. Jetzt ist die Band wieder da. Und verstört erneut. Mit nur einem Wort. 0

Es ist befremdlich: Alles, was nach dem letzten Akkord, dem großen, dem erlösenden 40-minütigen Krach, dem musikalischen Niederreißen all jener Sehnsüchte, für die man einmal stand oder doch zumindest vorgegeben hat zu stehen, noch bleibt, ist bloß ein Wort, ein einziges Wort, eine zur Floskel verkommene Vokabel aus dem klassizistischen Grundrepertoire des Rock ’n’ Roll. Alles, was bleibt, ist ein Fuck.

Über dieses Fuck wurde sehr viel mehr gesprochen, geschrieben und getwittert als über die Wiedervereinigung der Band, das neue Album, das die wiedervereinigte Band mit dem Fuck in einem ihrer Songs herausgebracht hat, und den musikgewordenen Abgesang auf das, wofür diese Band eigentlich einmal stand. Damals, in einer Zeit, in der es noch keine Schimpfwörter in ihren Texten gab. Es ist kaum zu glauben: Eine fucking Metalcore-Band hat Fuck gesagt, und die Empörung bei den Fans der Metalcore-Band mit dem Fuck im Song ist riesig.

Das Wunderlichste ist aber, dass man sich darüber tatsächlich noch wundert, denn die Band, um die es hier geht, ist Underoath. Und wenn es auch nur eine Beständigkeit in der nunmehr 20-jährigen Geschichte von Underoath gibt, dann die, dass die Band bei all ihrer wunderbaren Musik doch wirklich sehr, sehr wunderlich ist. Ein Euphemismus. Tatsächlich gibt es wohl kaum eine Band im Metalcore, die so komisch, so seltsam, so anders verstörend ist wie Underoath. Um die Sache mit dem Fuck und der Empörung über das Fuck zu verstehen, muss man sich also der eigentlichen Absurdität dieser Gruppe bewusst werden.

Andere sangen über den Tod, sie sangen über Jesus

Schon ihre Anfänge sind befremdlich. Underoath haben sich 1998 in Tampa, Florida, gegründet. Einem Landstrich also, aus dem normalerweise Bands kommen, die man eher dem Deathmetal zuordnen würde, wie Morbid Angel oder Obituary. Die ersten beiden EPs hießen „Act Of Depression“ und „Cries Of The Past“, waren musikalisch aber einem ganz anderen Genre zuzuordnen: dem Grindcore. Eine radikalisierte Form des Hardcore, der wiederum eine politisierte Weiterentwicklung des Punk war. Grindcore setzte rein formal auf eine extreme Beschleunigung.

Die Schnelligkeit, mit der Bands wie Napalm Death spielten, war für sie ein erklärter Ausdruck, den Wahnsinn der modernen Gesellschaft erfahrbar zu machen, einer Gesellschaft, die von einer nicht mehr wahrnehmbaren Fülle an Informationen überflutetet wird. Im Grindcore wurde das in einen musikalischen Ausdruck übersetzt, in Stücken, die so schnell sind, dass sich dem Hörer nicht mehr erschließt, ob es sich um Takte oder bloß noch um undifferenzierbares Rauschen handelt. Inhaltlich beschäftigte man sich mit morbiden Themen wie Tod und Vergänglichkeit, die im Rahmen einer technosozialen Beschleunigung aus dem Leben immer mehr verdrängt, ja tabuisiert werden.

Die Musik, die Underoath machten, war eigentlich keine Musik; die Musik, die Underoath machten, war Lärm. Schnelle Blastbeat-Drums, harte, undurchdringliche Gitarrenwände, getragen von einem stumpfen Bass. Es wurde nicht gesungen, es wurde geshoutet. Bellende Gutturallaute. Mehr Experiment als Musik. Und dazu wurde seit „Cries Of The Past“ auch noch ein merkwürdiges, sehr unübliches Instrument für dieses Genre eingesetzt: das Keyboard. Während sich die Death-Metal-Bands aus Tampa also mit der Abwesenheit Gottes und der daraus resultierenden Selbstvergöttlichung der Menschen beschäftigten und sich die restlichen Grindcore-Bands der Szene mit Tod, Morbidität und Vergänglichkeit auseinandersetzen, ging es bei Underoath in der gleichen formalen Härte der Kollegen um ein ganz anderes Thema. Es ging um Jesus.

Die damals noch fünf Jungs waren strenggläubige Evangelikale, die ihren Glauben in kreischenden Lärm verpackten. Die unglaublich harten, brutalen Songs wurden durch die von strenger Frömmigkeit durchzogenen Texte befremdlich verrückt. Die bloße Existenz einer solchen Band in einem solchen Umfeld mit so einem entrückten Themenspektrum war merkwürdig.

Wenn die Sonne schläft

Erst auf ihrer dritten Veröffentlichung, einem Album, das den verheißungsvollen Titel „The Changing Of Times“ trägt, öffnet sich die Band dann zum ersten Mal gegenüber melodiösen Elementen. So setzte man Drummer Aaron Gillespie ein Mikrofon vor sein Schlagzeug und ließ ihn singen. Eine gute Idee. Die cleanen Gesangsparts erwuchsen aus dem vom Grindcore geprägten Lärm der Strophen und bildeten einen perfekten Kontrast zu den bellenden Shouting-Parts, sodass sie ihre zuckersüße Melodiösität noch besser entfalten konnten. Die auf diese Weise ausgedrückte Dualität von Hass und Liebe, von Hoffnung und Verzweiflung, von Gut und Böse wurde zu einem genreprägenden Stil in den Nullerjahren, welcher sich im Rahmen der neuen Emo-Welle als Screamo etablieren konnte.

„The Changing Of Times“ war ein merkwürdiges Album. Ein Album, dessen Sound mit fremdartigen elektronischen Klängen so durchzogen war, dass es völlig aus jeder nur denkbaren Zeit gefallen schien und auch heute noch eine sonderbar giftige Aura versprüht. Auf dem Album befindet sich aber der beste Song der Band, er heißt „When The Sun Sleeps“ und ist die vertonte Verzweiflung über das nicht zu verkraftende Ende einer Beziehung. Die Sonne, sie schläft noch, doch wenn sie eines Tages aufwacht, wird am Ende des Tracks der dreiminütige Spannungsbogen aufgelöst, bleibt von der großen, der vergangenen Liebe kein Schmerz mehr, sondern bloß noch eine Erinnerung. Wann und ob die Sonne aber jemals wieder aufwachen wird, bleibt allerdings eine offene Frage, es spricht mehr dagegen als dafür, was aus dem Song und seinem nahezu naiven Ausdruck von Schmerz, Leid, Hoffnung und Wut eine Hymne der Einsamkeit macht (am Anfang wurde auch Gott gebeten, die Frau zurückzubringen – sogar dies vergeblich).

Ihr wirklich allerbester Song aber heißt „It’s Dangerous Business Walking Outside Your Front Door“ (ein Titel, der mit dem Song nichts zu tun hat, aus dem aber die Wahrheit spricht), der sich auf dem Nachfolge-Album „They‘re Only Chasing Safety“ befindet. Es geht um einen Mann, der seine Frau liebt, sehr liebt, wirklich über alles liebt, aber erkennt, dass er sie nicht so sehr liebt, wie er Jesus Christus liebt, was ein Problem für den Mann ist, der in der Bibel gelesen hat, dass man seine Frau eben so lieben muss, wie man Jesus Christus liebt. Seine Lösung: Er beschließt, sich umzubringen. Und seine Frau auch.

Das Narrativ des Tracks bildet also eine gerade stattfindende Autofahrt, auf welcher der Mann seine Tötungsabsichten umreißt, bis er den Wagen schließlich gegen eine Wand fährt, woraufhin ein Chorgesang einsetzt, der die Entrückung ankündigt („I’m drowning in my sleep“). Doch statt des erlösenden Moments wird in einer brutalen Bridge bloß laut bellend der Vorgang des Sterbens beschrieben („Ich hätte gedacht, dass es sehr viel schneller geht. Der Schmerz ist brillant“). Und während das Auto brennt und die Geliebte verbrennt und man ausscheidet aus diesem Leben, zwischen all den Splittern, den Schreien, ausscheidet aus diesem Leben, das für eine perfekte Liebe eben nicht geschaffen ist, freut sich das lyrische Ich über das beobachtete Sterben der Geliebten, denn nun endlich kann sie mit Ihm, mit Jesus, Hand in Hand gehen. Was für eine Pointe.

Der Keyboarder der Band ist besessen und braucht Hilfe

Auf „They‘re Only Chasing Safety“, ihrem Album, das nicht viel weniger als ein Meisterwerk ist, hat die Band sich selbst gefunden und ihre Arbeitsteilung perfektioniert. Und dennoch bleibt das alles sehr komisch. Die Videos der Band sind so trashig, dass sie sogar für Trash-Video-Verhältnisse als absoluter Videotrash zu bezeichnen sind. Die Performance des Keyboarders, Christopher Dudley, der eigentlich nur zwei Tasten pro Song drücken muss, artet sowohl live als auch in den Videos der Band so stark aus, dass man sich fragt, ob er unter Spasmen leidet oder vielleicht sogar vom Teufel oder einem bösen Dämon besessen ist (was im Underoath-Kosmos nicht verwunderlich wäre). In jedem Fall ist ersichtlich, dass dieser Mann dringend Hilfe braucht.

Auch dass Underoath ihren ursprünglichen Sänger unter mysteriösen Umständen auf einer laufenden Tour, kurz vor einem Gig einstimmig entlassen haben, aus Gründen, die man nie nennen wollte, ist abstrus. Ausgerechnet auf ihren Konzerten, bei denen es eben nicht bloß darum gehen solle, Spaß zu haben, sondern auch darum, gemeinsam Jesus zu treffen, wie die Band es ankündigte.

Auf den weiteren Alben entfernten sich Underoath dann wieder mehr und mehr von ihrer Melodiösität und erschufen einen kalt-vertrackten, schwer zugänglichen, aber anspruchsvollen Industrial/Metalcore-Sound, der schließlich zu dem neuesten Album führt, das „Erase Me“ heißt und ziemlich unerwartet kommt, denn die Band hatte sich vor einigen Jahren eigentlich aufgelöst, ist jetzt aber wieder zusammen. Nur aus der Originalbesetzung ist niemand, wortwörtlich niemand mehr dabei, merkwürdig, na klar, und dann hört man dieses Album und ist kurz überrascht, dass es nahezu konventionell klingt, vergleicht man es mit anderen Alben der Band. Bis auf die Sache mit dem Fuck.

Die Band singt Fuck, um genau zu sein, singt die Band in „On My Teeth“ davon, dass es ihr ohne eine nicht weiter definierte Person gut geht (Jesus? Eine Frau? Eine personifizierte Droge?) und dass man eben nicht die fucking Beute von Jesus/der Frau/der personifizierten Droge sei, was die Fans der Band dann nachhaltig verstört hat, denn die Fans der Band sind noch immer Christen, und die mögen das Gefluche nicht. Dabei haben sich Underoath (bis auf ihren vom Teufel besessenen Keyboarder) schon längst von Jesus abgewandt. Sänger Spencer Chamberlain begründet das damit, dass er während seiner langjährigen Kokainsucht wenig Support von der christlichen Community bekommen habe. Damit ist Chamberlain offiziell der einzige Rockstar überhaupt, der lediglich durch Kokainkonsum (nicht wenigstens einmal Heroin!) in den Wahnsinn getrieben wurde.

Vielleicht hat das Kokain ihn aber auch aus dem Wahnsinn befreit, wer weiß das schon, zumindest hat er die Drogen hinter sich gelassen und die Christen auch und verwendet eben das Wort Fuck in seinen Texten (sogar drei Mal auf dem Album), was wiederum die Christen verstört, die nicht mitbekommen haben, dass Underoath keine christliche Band mehr ist, und es nicht gut finden, dass sie in ihren Songs Fuck sagen. Als Antwort zeigt das Album-Cover nun eine Engelsstatue, deren Kopf abgeschlagen wurde. Man kann sich das alles gar nicht ausdenken und fragt sich tatsächlich, ob Underoath trotz oder eben wegen ihrer Merkwürdigkeiten zu einer so guten Band werden konnten. Ihren Sound haben sie mittlerweile perfektioniert ohne dabei ihre Befremdlichkeit zu verlieren. Was kann man sich von einer guten Rockband im Jahr 2018 mehr wünschen?

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