Thursday, 28th March 2024
28 März 2024

„Das ist alles Astrid Lindgrens Schuld“

Håkan Nesser ist der Star unter den schwedischen Krimiautoren. Nun wurde eine seiner Kurzgeschichten verfilmt. Ein Gespräch über Mord als Eskapismus, die deutsche Schweden-Begeisterung und Gütersloh. 0

Was zu viel ist, ist zu viel: 230 neue Krimis schwedischer Autoren seien allein in diesem Jahr erschienen. Sagt Håkan Nesser, der selbst schwedischer Krimi-Bestsellerautor ist. Dann macht der lange, schlaksige Mann eine Pause. Und wiederholt die Zahl, zerdehnt sie: Zwei – hundert – und – dreißig! „Das ist schon verrückt.“ Er sagt das beim Interview, das er uns in einem Frankfurter Hotel gibt. Seine verstorbenen Kollegen Stieg Larsson und Henning Mankell haben, wie er, den Boom der Schweden-Krimis befördert. Nesser gilt als Philosoph seiner Zunft, seine Arbeiten sind komplexer und literarisch ambitionierter als viele seiner Kollegen. Stören ihn all die Fließbandschreiber, die vom Ruf der Schweden-Krimis profitieren wollen? Nesser antwortet mit einem diplomatischen Bonmot: „War es nicht Hegel, der das Gesetz vom Umschlagen von Quantität in Qualität aufgestellt hat? Ich bin schon zufrieden, wenn ich unter 500 Krimis zehn entdecke, die richtig gut geschrieben sind.“

WELT AM SONNTAG: Herr Nesser, in vielen Ihrer Romane weiß man nie so genau, wo sie spielen. Dreh- und Angelpunkt ist oft die fiktive nordeuropäische Stadt Maardam, auch in der Verfilmung Ihrer Kurzgeschichte „Intrigo – Tod eines Autors“ …

Håkan Nesser: Soweit stimmt alles.

WELT AM SONNTAG: Als im Film die Hauptfigur David mit seiner Frau im Auto durch die Alpen fährt, gibt es aber einen so konkreten wie kuriosen Hinweis auf dessen mögliche Herkunft: Auf dem deutschen Kennzeichen seines Wagens steht: GT. War das Ihre Idee?

Nesser: Nein. Das war mir gar nicht aufgefallen. Wofür steht denn GT?

„Intrigo: Tod eines Autors“ Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Der erste Teil der Trilogie nach Büchern von Håkan Nesser schickt Benno Fürmann auf die Spur eines toten schwedischen Schriftstellers, der in seinem Manuskript ein Geheimnis versteckt hat.

WELT AM SONNTAG: Gütersloh. Deutsche Kleinstadt, als Heimat eines Filmmörders bislang nicht bekannt.

Nesser: Interessant. Wieso ist Ihnen das Kennzeichen in dem Film aufgefallen?

WELT AM SONNTAG: Vielleicht, weil ich dort geboren bin.

Nesser: Ach was. Sie sind in Gütersloh geboren? Also zwischen Bertelsmann und Miele?

WELT AM SONNTAG: Sie kennen sich ja doch dort aus.

Nesser: Ich war nur einmal dort. Aber ich schwöre, ich wusste nicht, dass GT für Gütersloh steht. Ich kenne Gütersloh ein bisschen, weil mein deutscher Verlag zu Randomhouse und somit zu Bertelsmann gehört. Während meiner Lesereisen habe ich eine Mitarbeiterin meines deutschen Verlages oft auf den Arm genommen. Britta Puce heißt sie und ist, wie Sie, dort geboren. Und ich sagte ihr oft: „Ich bezweifle, dass dieses Gütersloh überhaupt existiert.“

WELT AM SONNTAG: Sie verwechseln das mit der Nachbarstadt Bielefeld, die es einer Verschwörungstheorie zufolge gar nicht gibt.

Nesser: (lacht) Meine deutsche Pressereferentin hat mir versichert, dass ihre Mutter nach wie vor in Gütersloh lebt. Wir sind dann mal dorthin gefahren, hatten nicht viel Zeit, ein paar Stunden nur, ich hatte dort vor allem die Bertelsmann-Zentrale besucht – und natürlich Brittas Mutter. Britta sagte mir, dass, als sie noch ein Kind war, sie den Eindruck hatte, dass es dort nur diese beiden großen Unternehmen gab, Bertelsmann und Miele. Und sonst vor allem Landwirtschaft. Schon eigentümlich, zwei Weltkonzerne in einer so kleinen Stadt.

WELT AM SONNTAG: 99.000 Einwohner.

Nesser: Gütersloh scheint ein netter Ort zu sein, um dort geboren zu sein. Und um später dort wegzuziehen. (lacht) Ich bin ja im schwedischen Kumla geboren, das mit etwa 21.000 Einwohnern noch kleiner ist als Gütersloh. Kumla ist landesweit bekannt, weil dort eines der größten Gefängnisse Schwedens steht. Die Insassen möchten alle von dort abhauen, und ich fürchte, vielen jungen Menschen geht es im Hinblick auf ihre Heimatstadt genauso. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer das GT-Kennzeichen im Film untergebracht hat. Ich bezweifle, dass der Regisseur Gütersloh überhaupt kennt. Aber ich werde ihn jetzt sicher fragen, warum er das gemacht hat.

WELT AM SONNTAG: Im Film manipuliert David die Bremsen des GT-Wagens, weil er seine Frau aus Eifersucht umbringen will. Nach einer Fahrt zu ihrem Liebhaber bleibt sie verschwunden, Jahre später entdeckt David, dass sie überlebt hat. Als er ihr gegenübersteht…

Nesser:…verrät sie ihm natürlich nicht, wie ich das arrangiert habe, dass sie trotz der defekten Bremsen überlebt hat. Und, so leid es mir tut, ich werde es jetzt auch Ihnen nicht in diesem Interview verraten. (lacht).

WELT AM SONNTAG: Okay, war ein Versuch. Sie spannen ja Ihre Leser mit solchen nicht ganz aufgelösten Fällen gern auf die Folter. Hat Sie der klassische „Kommissar-löst-jeden-Fall“-Stil so gelangweilt, dass Sie dem Genre immer wieder diesen eigenwilligen Dreh geben?

Schriftsteller Henning Mankell ist tot Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Der schwedische Schriftsteller Henning Mankell ist tot. Er erlag im Alter von 67 Jahren seinem langjährigen Krebsleiden. Berühmt wurde Mankell durch die Krimis um den Kommissar Kurt Wallander.

Nesser: In den meisten Krimis soll am Ende alles auf perfekte Weise gelöst sein. Mich persönlich hat diese Struktur immer angeödet. Ich fand es reizvoller, alles Abgründige zumindest nicht vollständig zu erklären. Was umgekehrt auch nicht heißt, dass ich alles im Vagen lasse. Aber das Leben an sich endet ja auch nicht mit einem Ausrufezeichen. Es endet mit einem Fragezeichen, da bin ich mir ziemlich sicher. Warum sollte das in meinen Romanen nicht auch so sein?

WELT AM SONNTAG: In „Intrigo“ geht es um Ehebruch und Schuld, während viele heutige Krimis brisante tagesaktuelle Themen behandeln – islamistischen Terror, rechtsextreme Gewalt, Folgen der Migrationskrise. Setzen Sie sich bewusst von diesen Debatten-Thrillern ab?

Nesser: Viele Krimis haben in den letzten Jahren vor allem das abgebildet, was in den Schlagzeilen der Zeitungen zu lesen war. Ich selbst bin nicht sehr gut darin, Krimis zu schreiben, die gesellschaftliche Missstände reflektieren. Ich gehe da etwas existenzialistischer heran, widme mich eher grundsätzlichen Fragen zur menschlichen Existenz: Warum begehen wir schlimme Verbrechen, die wir eigentlich gar nicht verüben wollen? Solche grundsätzlichen Fragen über das menschliche Wesen treten viel deutlicher hervor, wenn man sie nicht mit tagesaktuellen Debatten vermischt.

WELT AM SONNTAG: Was stört Sie daran?

Nesser: Als ich in den frühen 90er-Jahren anfing, Krimis zu schreiben, sagten mir viele Kollegen, dass sie Krimis eigentlich nur schreiben, um ihre Gesellschaftskritik auszudrücken. Wenn diese Bücher gut geschrieben sind, stört es mich nicht. Jeder liebt schließlich linke Krimi-Autoren. Nur scheint man inzwischen fast schon zu erwarten, dass Krimis gesellschaftliche Missstände kritisieren müssen. Davon mal abgesehen, ist es nicht so kompliziert, eine Geschichte zu schreiben, in der Neonazis die Bösen sind. Nicht, dass wir uns missverstehen: Der Aufstieg der Rechtspopulisten macht auch mir Angst, nicht nur bei uns in Schweden. Nur könnte ich diese Entwicklungen nicht in Krimis reflektieren. Ich weiß das. Deshalb lasse ich es.

Rechtspopulistische Schwedendemokraten werden drittstärkste Kraft Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Bei der Parlamentswahl in Schweden haben die rechtspopulistischen Schwedendemokraten starke Zugewinne erzielt. Parteichef Jimmy Åkesson kündigte an, die SD werde nun „echten Einfluss“ in der Politik ausüben.

WELT AM SONNTAG: So ganz stimmt das nicht. In „Der Fall Kallmann“ beschreiben Sie die Bedrohung einer Schule in Nordschweden durch Neonazis, ein Lehrer stirbt, ein rechtsradikaler Schüler wird erhängt aufgefunden. Wollten Sie doch einmal zeigen, dass ein Kriminal- auch ein Gesellschaftsroman sein kann?

Nesser: Ich habe das Thema Neonazis darin nur touchiert, es ist nicht der dominierende Plot. Und es geht nicht um die Jetzt-Zeit, sondern um Nazis im Schweden der 90er-Jahre. Bis ich Schriftsteller wurde, hatte ich selbst 24 Jahre lang als Lehrer in Uppsala Schwedisch und Englisch unterrichtet. Ich wollte einen Thriller schreiben, der hauptsächlich in einer Schule spielt. Also ging ich zurück in die 90er-Jahre, als ich selbst noch unterrichtete. Ich erinnere mich genau, wie wir damals am Bahnhof in Uppsala protestierten, weil ein paar Neonazis aus Stockholm ankamen. Den vielleicht zehn Neonazis standen 2000 von uns gegenüber. Damals hat man sich über die Neonazis fast ein bisschen lustig gemacht, das waren lächerliche Skinheads, keine wirkliche Bedrohung. Das hat sich heute, mehr als 25 Jahre später, drastisch verändert.

WELT AM SONNTAG: Vor einem Jahr hofften Sie noch, die rechtsextremen Kräfte würden in der schwedischen Politik künftig kaum noch eine Rolle spielen. Bei den jüngsten Wahlen in Ihrer Heimat wurden die rechtspopulistischen Schwedendemokraten drittstärkste Partei.

Nesser: Ja, leider. Das war damals eine wilde Vermutung von mir. Ich muss zugeben, dass ich im Moment ratlos bin, welche Maßnahmen gegen die Rechtspopulisten wirken könnten. Es passiert erneut, in so vielen europäischen und anderen Ländern. Wir debattieren, analysieren – und wir schauen zu, wie sich dieses Gedankengut weiter ausbreitet. Es frustriert mich enorm. Ich lebe mit meiner Frau in Visby auf der Insel Gotland. Als es dort im Sommer eine Woche lang politische Diskussionen und Veranstaltungen gab, waren die schlimmsten Neonazis aus ganz Schweden dorthin gereist. Man hatte ihnen erlaubt, sich dort zu versammeln, Reden zu halten. Der Bericht über eine Veranstaltung, die ich selbst nicht besucht habe, hat mich besonders schockiert. Als die Tochter einer Holocaust-Überlebenden zu einer Lesung einlud, kamen auch die Neonazis. Sie standen da, in einer Art von Uniform, mit verschränkten Armen. Mit dieser Geste drehten sie sich zu vielen Gästen um – auch zu ihr. Gesagt haben sie die ganze Zeit kein Wort. Standen nur da. Die Polizei konnte sie nicht rauswerfen, weil die Neonazis ja nichts Verbotenes gemacht hatten. Die Frau hat die Lesung dann abgebrochen, weil sie nicht weitermachen konnte.

WELT AM SONNTAG: Reden wir noch über eine andere Ihrer Prognosen, die nicht eintrat.

Nesser: Welche denn?

WELT AM SONNTAG: Sie sagten mal, das Etikett Schweden-Krimi würde sich nicht lange halten, es sei nur ein Modebegriff.

Nesser: Oh Gott. Da hatte ich auch Unrecht.

WELT AM SONNTAG: Die Deutschen haben ja ein Faible für Schweden, für Astrid Lindgrens Geschichten einer unbeschwerten Kindheit. Aber die Krimis über menschliche Abgründe von Henning Mankell oder Håkan Nesser verschlingen sie auch. Wie passt das zusammen?

Nesser: Das ist mehr ein Problem der Deutschen als der Schweden. Dass die Deutschen so viele Schweden-Krimis lesen – das ist alles Astrid Lindgrens Schuld. (lacht)

WELT AM SONNTAG: Warum denn das?

Nesser: Ihr Deutschen lest mehr Bücher von Astrid Lindgren als wir Schweden. Die Krimis sind sozusagen die logische Fortsetzung dieser von Astrid Lindgren initiierten Schweden-Begeisterung, mit dem kleinen Unterschied, dass wir die Leser auf die dunkle Seite führen. Aber diese gleichzeitige Begeisterung für Kinderliteratur wie auch für düstere Krimis aus Schweden ist ein sehr deutsches Phänomen. Können Sie überall in Deutschland beobachten. Auch in Gütersloh.

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