Thursday, 18th April 2024
18 April 2024

„Männer sind leichter zu begreifen als Frauen“

Die Regisseurin Margarethe von Trotta hat sich zur MeToo-Debatte lange nicht geäußert. Warum eigentlich? Ein Gespräch über eine unangenehme Begegnung mit Harvey Weinstein und Hexenjagden auf Männer. 0

Sie hat sich schon früh in einer Männerdomäne durchgesetzt: 1981 erlebte fast bei den Filmfestspielen in Venedig einen ihrer größten Triumphe, als sie den Goldenen Löwen für ihre Regie von „Die bleierne Zeit“ erhielt. Für die Deutsche war es der Beginn einer Weltkarriere.

Wobei sie, das erzählt Margarethe von Trotta bei unserem Interview in Frankfurt, unmittelbar nach der Preisverleihung zunächst sehr irritiert war. „Ich weiß noch genau, wie ich damals von der Bühne runterging, mit meinem Preis in der Hand. Ich war sehr stolz, als mich eine Journalistin fragte: ,Wie fühlen Sie sich, als erste Frau nach Leni Riefenstahl in Italien einen Regiepreis zu bekommen?‘ Da war ich für einen Moment sprachlos“, erinnert sie sich.

„Riefenstahl hatte in Venedig die Coppa Mussolini bekommen, im faschistischen Italien. Ich war über diesen geschmacklosen Vergleich so perplex, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich darauf geantwortet habe. Leni Riefenstahl und ich in einem Satz – das war schlimm.“

WELT: Frau von Trotta, Sie haben in Ihrer mehr als 40-jährigen Karriere die Hauptrollen in Ihren Filmen konsequent mit Frauen besetzt.

Margarethe von Trotta: Das ist bei mir ja kein Programm, obwohl das immer alle denken. Früher fragte mich jeder Journalist: „Warum machen Sie immer nur Filme über und mit Frauen?“ Ich antwortete immer: „Haben Sie mal Wim Wenders gefragt, warum er meistens Filme mit Männern in den Hauptrollen macht? Nein? Dann haben Sie auch nicht das Recht, mich das zu fragen.“

WELT: Ich wollte auf etwas anderes hinaus: Sie haben in Ihren Filmen kontinuierlich etwas umgesetzt, was in Ihrer Branche zwar seit Jahren immer wieder in Appellen eingefordert, dann aber doch nur selten gemacht wird: mehr Filme mit Hauptdarstellerinnen zu drehen. Wie haben Sie das all die Jahre geschafft?

von Trotta: Ich glaube, das hängt auch mit meinem Leben zusammen. Ich habe keinen Bruder. Mein Vater war sehr selten da, ich habe ihn zwar gekannt, aber er besuchte mich meist nur, wenn große Ferien waren. Ich habe immer mit meiner Mutter zusammengelebt, kannte ihre Schwestern, ging auf eine Mädchenschule. Ich kannte lange Zeit einfach gar keine Männer. Nach der Pubertät hatte ich mich dann natürlich schon mit Männern beschäftigt (lacht). Aber die traditionelle Basis einer Familie, in der es Männer und Frauen gibt, das kannte ich einfach nicht. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich Frauen verstehe. Männer verstehe ich eher nicht.

WELT: Hat sich das inzwischen geändert?

von Trotta: (lacht) Ich habe ja Gott sei Dank einen Sohn. Ich bin auch nicht männerfeindlich, war ja mehrmals verheiratet. Dennoch hatte ich nie das Gefühl, dass ich Männer so gut verstehe wie Frauen. Ich durchschaue Männer manchmal, weil sie leichter zu begreifen sind als Frauen.

WELT: Die MeToo-Debatte hat besonders in Ihrer Branche monatelang für Aufregung gesorgt. Hollywood-Mogul Harvey Weinstein steht wegen diverser Anschuldigungen, die von Vergewaltigungen bis zu sexuellen Übergriffen reichen, vor Gericht. Hat MeToo darüber hinaus nachhaltig etwas verändert?

von Trotta: Viele Frauen, die ich in der Branche kenne, behaupten, dass dem so sei. Ich weiß es nicht.

WELT: Das klingt skeptisch.

von Trotta: Sehen Sie: Ich habe mich zu dieser Debatte eigentlich nicht äußern wollen. Ich habe schließlich mein ganzes Filmleben lang für Gleichberechtigung gekämpft, Sexismus angeprangert, mich für Frauenrechte eingesetzt – und ich habe dafür oft viel Kritik einstecken müssen. Ich muss allerdings zugeben: Dass Weinstein jetzt vor Gericht steht, hat mich mit Genugtuung erfüllt.

Harvey Weinstein drohte lebenslange Haft Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Ein drittes mutmaßliches Opfer hat die Staatsanwaltschaft von New York jetzt präsentiert. Das Vergehen soll so schwer gewesen sein, dass Weinstein, im Falle einer Verurteilung, lebenslange Haft droht.

WELT: Kannten Sie ihn?

von Trotta: Ja. Ich habe ihn mal kennengelernt und fand ihn ganz grässlich. Nicht weil er mich belästigt hätte. Er hatte mich in dem Zusammenhang gar nicht als Frau wahrgenommen, sondern nur als Funktionsträgerin. Ich saß damals in einer Jury in Venedig. Er hatte einen von ihm produzierten Film mit Sean Penn im Wettbewerb, von dem er unbedingt wollte, dass er gewinnt. Ich war ja nur ein Teil dieser Jury. Als wir an einem Nachmittag in einer Runde zusammensaßen, redete Weinstein auf mich ein, sagte: „Sie machen ja so gute Filme, ich liebe Ihre Filme. Sie könnten auch mal bei uns arbeiten.“ Ich merkte sehr schnell, dass er noch nie einen Film von mir gesehen hatte. Er wollte mich einwickeln, mir signalisieren, dass, wenn ich für seinen Film stimmte, er mir dann die Möglichkeit geben würde, einen Film für seine Firma zu machen. Ich habe ihn dafür verachtet. Dass er wirklich glaubte, er könnte mich auf diese Weise beeinflussen. Es hat mich regelrecht gekränkt, dass er mich für so dämlich gehalten hat. Ich habe mich natürlich nicht darauf eingelassen.

WELT: Hatten Sie keine Sorge, dass dies für Sie negative Folgen haben könnte?

von Trotta: Nö, ich hatte sowieso nie Lust, in Amerika einen Film zu machen. Angebote aus Amerika hatte ich immer abgelehnt.

WELT: Warum?

von Trotta: Auch wenn ich mir in Deutschland oft fremd vorkam, war und ist Deutschland doch immer mein Fundament, mein Lebens- und Denkfundament.

WELT: War MeToo für Sie eine Fortsetzung dessen, was Sie selbst Ihr Leben lang für Frauen gefordert haben?

von Trotta: Schwer zu sagen, weil es im Verlauf der Debatte auch zu Denunziationen kam. Ich fand es schwierig, jemanden nach 20 Jahren öffentlich anzuklagen, nur weil es im Rahmen dieser Debatte jetzt möglich war. Ich selbst war in der Hinsicht immer für Eigenverteidigung. Wenn sich ein Mann mir gegenüber übergriffig verhielt, habe ich mich gewehrt beziehungsweise das Spiel nicht mitgemacht. Mit der Folge, dass ich in jenen Jahren, als ich noch Schauspielerin war, die Rolle dann eben nicht bekommen habe. Aber diesen Denunziationen konnte ich nicht folgen. Ich empfand das als eine Art umgekehrter Hexenjagd: Früher wurden Frauen gejagt, jetzt waren es zum Teil Männer. Sicher, wenn Herr Wedel einer Frau sagte: „Du bist eine schlechte Schauspielerin“, und sie dann eine Szene 20-mal spielen ließ, um sie vor den anderen bloßzustellen – und all das nur, weil sie ihn am Abend zuvor abgewiesen hatten –, dann wird es natürlich gefährlich für eine Frau. Ich finde nur: Viele hätten sofort reagieren müssen, nicht erst 20 Jahre später.

WELT: Aber Sie haben gerade doch selbst die Konsequenzen beschrieben, mit denen Sie als Schauspielerin in solchen Fällen rechnen mussten – Sie bekamen den Job nicht.

von Trotta: Natürlich. Es gab diesen Druck, sich willfährig zu verhalten, in irgendeiner Weise, damit man überhaupt Jobs bekam. Ich bin halt das Risiko eingegangen, hab Nein gesagt und bekam den Job nicht. Das war mir lieber, als dass ich mich willfährig gezeigt hätte, nur damit mir beruflich nicht geschadet wird. So habe ich das damals gemacht, aber das würde ich jetzt niemandem vorschreiben oder von anderen verlangen wollen. Das war auch mit ein Grund, warum ich mich in diese Debatte auf ihrem Höhepunkt nicht eingemischt hatte. Ich wollte den anderen Frauen keine Vorschriften machen. Grundsätzlich finde ich es okay, wenn die Frauen das Problem heute weiter in die Öffentlichkeit bringen. Ich glaube schon, dass viele Männer es sich jetzt dreimal überlegen, bevor sie dich in ein Hotelzimmer zerren. Es ist gut, wenn das ein Ergebnis von MeToo ist. Gleichzeitig finde ich es schön, wenn man weiter miteinander flirtet. Dass man sich auch weiterhin gerne mal anfasst. Als ich jung war, haben wir für die freie Liebe gekämpft. Als ich anfing, Filme zu machen, waren wir frei, wir sind mit jedem ins Bett gegangen, auf den wir Lust hatten. Es war eine völlig andere Zeit. Wenn mir nicht gefällt, dass mich ein Mann an den Po fasst, dann sage ich ihm das oder fasse ihm auch an den Po. Mich stört dieses politisch Überkorrekte, das aus solchen Debatten erwächst. Ich bin halt immer eine Rebellin gewesen, die in alle Richtungen rebelliert hat (lacht).

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