Friday, 29th March 2024
29 März 2024

Mehr Psychopathen als bei den Habsburgern

Leichen pflastern ihren Dancefloor: Wie verfilmt man die Berliner Technoszene? Die Amazon-Serie „Beat“ dringt in eine düstere Parallelwelt ein. Als wäre die Anarchie der Nacht nicht episch genug. 0

Gleich am Anfang: rein. Strobo. Nebel. Bass. Irrsinn. Technoparty. Afterhour. Was für ein Fest. Doch dann, ein paar Szenen später, hängen Kadaver hoch oben über den Feiernden. Aus ihren aufgeschlitzten Leibern tropft Leichenflüssigkeit auf die Tanzfläche. Murder on the dancefloor, ganz schön spooky.

In „Beat“, der fünften deutschen Eigenproduktion von Amazon Prime Video, erkundet „Krabat“-Regisseur Marco Kreuzpaintner die Berliner Klubwelt und die Abgründe des internationalen Verbrechens. Eine schnelle, exzessive, auch düstere Serie des Video-on-Demand-Anbieters über die dunklen Seiten der Hauptstadt.

Im Mittelpunkt steht Robert Schlag, genannt Beat, ein 28-jähriger Partyveranstalter, populär, aber pleite, verdrogt, Idealist. Wie es das Leben als Klubpromoter mit sich bringt: Beat ist vernetzt bis in die letzten Winkel der Berliner Halbwelt, und das macht ihn interessant für den europäischen Geheimdienst ESI. Dort ist man der Organmafia auf der Spur, die sich wiederum auf einem Hof im südlichen Havelland eingenistet hat. Dort hält sie syrische Kriegsflüchtlinge in Käfigen gefangen und weidet sie je nach Auftragslage aus.

Klingt erst mal fürchterlich. Dabei überwindet „Beat“ den augenscheinlichsten Fallstrick dieses Genrekonstrukts schier meisterhaft. Filme über Subkulturen rutschen gern in Stereotype ab, ersinnen fiese Dealer und toughe Labelchefs, die Undergroundszene dient dann als Kulisse, die ein bisschen Action und Verruchtheit in den Streifen bringen soll.

Bei „Beat“ hat man oft den Eindruck, dass der Entstehungsprozess genau andersherum ablief: Irgendwie musste ein spannendes Gerüst gefunden werden, um das große Technoding zu erzählen. Die Kamera geht dicht ran an die Nachtwelt, arbeitet das Schöne im Kaputten heraus, zeigt all das, was Techno, was Feiern, was die Sogkraft der Nacht ausmacht: Oberfläche. Absturz. Instinkt. Ekstase. Transzendenz.

Die Hektik, das Durcheinander der Gefühle und Ereignisse – das kommt der Realität dessen, was sich im Berliner Nachtleben so abspielt, schon ziemlich nah. Die Stadt selbst tritt dabei in den Hintergrund. Berlin spielt sich hinter vergilbten Fenstern ab, beschränkt sich auf Kellerräume, Hinterhöfe und Außenaufnahmen im Halbdunkel.

Geschickt meidet „Beat“ das allzu Plakative, zeigt den szenetypischen Drogenkonsum unaufgeregt und ohne erhobenen Zeigefinger – im Gegenteil: Für die Unmengen an Pulvern, Pillen und Kristallen, die Beat verschlingt, sieht der Junge noch verdammt gesund aus. „Ich bringe die Welt nur in die Ordnung, in der ich sie aushalte“, verteidigt er seine toxikologische Bilanz. „Der Tag ist voller Arschlöcher.“

Viel von ihrer Glaubwürdigkeit verdankt die Serie Schauspieler Jannis Niewöhner, der tattooübersät und mit Dreitagebart den Protagonisten Beat gibt. Niewöhner mimt den Druffi, als wäre er im Darkroom des „Berghain“ zur Welt gekommen, geistert mit fahriger Gestik und überwachem Blick durch die Enklaven der Klubwelt, was selten overacted wirkt. Ein Berliner Partyoriginal, Kopfstoßspezialist, aber Enzensberger auf dem Nachttisch, und im nächsten Moment kann er so spitzbübisch grinsen, wie man es zum letzten Mal bei Til Schweiger in den Neunzigern gesehen hat.

Aber dann. Musste das Ganze ja unbedingt noch ein Krimi werden. Denn der fiese Schnösel Vossberg hat sich in den Klub von Beats Freund eingekauft, einem häuslich gewordenen Ex-Raver mit Föhnfrisur, der unter dem Kaschmirpulli die Tattoos wie Kriegsnarben versteckt hält.

Fiesling Vossberg leitet unter dem Deckmantel eines internationalen Konzerns eine brutale Verbrecherorganisation, die Menschen schiebt und mit Chemiewaffen handelt. Neueste Cashcow des Geheimbunds: jener Bauernhof in Brandenburg, wo Vossbergs Schergen entführten Flüchtlingen Herz und Nieren entnehmen.

Mithilfe der schönen Agentin Emilia (Karoline Herfurth) setzt der europäische Geheimdienst den Partypromoter Beat auf Vossbergs Organisation an. Und schon findet sich der Raver im Kugelhagel wieder.

Technoszene, Undercoveragenten, Organhandel: drei düstere, hermetische Welten. Doch der Versuch, einen internationalen Geheimdienstthriller auf den Dancefloor zu verfrachten, gerät hölzern und wirkt oft unglaubwürdig. Vieles hat man so oder besser in amerikanischen Mafiafilmen gesehen, weite Strecken könnten in der brandenburgischen Provinz genauso gut angesiedelt sein wie in einem stillgelegten Schlachthof in North Side Chicago.

Sieht aus wie Loveparade, ist aber keine Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Bald tanzen wieder Raver quer durch Berlin. Doch Loveparade-Nostalgikern erteilen die Veranstalter eine Absage: Die Technoparty wird keine Neuauflage des alten Events. Sondern eine Demo mit Musik.

Chemiewaffen, Flüchtlingskrise, Gentrifizierung, die europäische Idee – bei seinem Versuch, die deutsche Gegenwart abzubilden, hat sich Regisseur Kreuzpaintner, der auch die Idee zum Drehbuch entwickelte, vielleicht doch ein bisschen zu viel vorgenommen.

Und dann bekommt die Serie auch noch eine Horrorkomponente verpasst. Denn in Beats Vergangenheit schlummert ein Geheimnis, das ihn einholt in Form von Jasper, ehemaliger Mitinsasse im Brandenburger Waisenhaus, der sich nun als sein Stalker austobt. Ein genialer Irrer wie aus einem „James Bond“-Film, kolossal beängstigend gespielt von Kostja Ullmann. Am Ende der ersten Episode tanzt der Wahnsinnige mit entrückter Miene zwischen Formaldehydgläsern mit menschlichen Gliedmaßen, aus den Boxen dröhnt Tony Marshalls „Komm gib mir deine Hand“. Nie hat Schlagermusik derart beklemmend geklungen, so gruselig kann Deutschland sein.

Nochmal zum Mitzählen: Ein drogensüchtiger Borderliner, ein nekrophiler Maniker, ein aalglatter Psychopath, abgestumpfte Killer, und der Geheimdienstchef ist auch irgendwie pervers – eine höhere Psychopathendichte hat nur der Stammbaum der Habsburger.

Organisch, authentisch wirkt „Beat“ immer dann, wenn es den Protagonisten seinem Habitat überlässt – dem Klub und seinen Nebenschauplätzen. Selten ist es gelungen, die Anarchie der Nacht vor der Kamera derart glaubwürdig nachzubilden. Mit der Berliner Technoszene erkundet die Serie ein einzigartiges Milieu. Ein bisschen schade, dass dieses Alleinstellungsmerkmal verwässert wurde, indem man dem Format einen Thriller nach amerikanischem Vorbild aufnötigte. Es hätte so einfach sein können.

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