Friday, 19th April 2024
19 April 2024

Verdient die AfD-Stiftung ihren Namensgeber Erasmus?

Die parteinahe Stiftung der AfD, die kürzlich erstmals tagte, heißt nach Erasmus von Rotterdam. Ein neues Buch findet, dass Namensgeber und Partei nicht zusammenpassen. Wer hat recht? Ein Schnellcheck. 0

Gelehrtes Europäertum geht ganz leicht. Es nennt sich einfach nach Erasmus von Rotterdam. Generationen von EU-Studenten haben unter seinem Namen ein Auslandssemester in Barcelona, Bari oder Brest verbracht und Initiationserlebnisse hinter sich, denen die Kinokomödie „L’auberge espagnol“ vor Jahren ein Denkmal gesetzt hat. Bis hierher der schöne Teil der Geschichte.

Gar nicht schön finden es manche, dass die EU-kritische Alternative für Deutschland (AfD) auf ihrem Bundesparteitag im Juli den Desiderius-Erasmus-Verein als parteinahe Stiftung anerkannte. Am Wochenende hielt die Desiderius-Erasmus-Stiftung in Berlin ihre erste öffentliche Tagung ab. Parteinahe Stiftungen erhalten viel Geld vom Staat für ihre Bildungsarbeit. Was auffällt, ist der Beiname Desiderius („Der Erwünschte“). Erasmus gab ihn sich, als er 30 war selbst. Setzt die AfD ihn ein, um einen besonders authentischen und distinktionsfähigen Erasmus geltend zu machen? Motto: Bei uns heißt er nicht wie bei den Systemhistorikern und Althumanisten.

Bevor die AfD unter dem Namen des Desiderius Erasmus von Rotterdam „falsche“ Themen besetzen kann, beeilt sich nun ein kleiner Verlag, mit O-Tönen darüber aufzuklären, wofür der Humanist, der 1466 in Rotterdam geboren wurde und 1536 in Basel starb, wirklich steht. Nämlich: „Weltbürgerlichkeit“ und „Herzensgüte gegenüber Fremden und Verfolgten“. Das jedenfalls schreibt der Kleinverlag Das Kulturelle Gedächtnis der AfD ins Stammbuch.

Der von Wolfgang Hörner und Tobias Roth herausgegebene Band trägt den Titel „Der sprichwörtliche Weltbürger“ und straft jede Idee, eine Parteistiftung nach Erasmus zu benennen, schon auf dem Buchdeckel Lüge: „Ich liebe die Freiheit. Ich will und kann keiner Partei dienen.“ Zitat Erasmus. Innen drin stehen auf gut 90 Seiten im Oktavformat eine Menge Statements, mit denen man der fremdenfeindlichen Partei die Erasmus-Suppe versalzen will. Das Büchlein ist ein Auszug aus Erasmus’ Sprichwortsammlung „Adagia“.

Erasmus sammelte zeit seines Lebens über 3000 antike Redensarten – um ihre Bedeutung zu kommentieren. Als Humanist um 1500 hatte man solche Hobbys. Selbstverständlich auf Latein, der Lingua franca der damaligen, huch, Europa-Elite. Natürlich soll man mit dem Büchlein der AfD Erasmus-Sprüche um die Ohren hauen. Zur Flüchtlingskrise kann man der Partei jetzt also (mit Lukian) sagen: Elephantum ex musca facis. Ihr macht aus der Mücke einen Elefanten. Zur Provokationsdauerschleife: Lis litem serit. Streit sät Streit. Zur Vergiftung des öffentlichen Diskurses durch Populismus: Archilochia! Was, welch Zufall, ein bisschen nach „Arschlöcher“ klingt und laut Erasmus schon seit Cicero „das böswillige und gehässige Kundmachen“ meint, für die der Dichter Archilochus besonders bekannt war.

Okay. Nennen wir es eine Spielerei, eine Munitionierung für diejenigen, die der AfD die Marke Erasmus nicht gönnen. Was die AfD und Erasmus wirklich zu Antipoden macht, erfährt man anderswo. Erasmus über seine Sprichwörter hinaus betrachtet. Seine Schrift „Lob der Torheit“ ist eine frühneuzeitliche Schule der Satire. Überhaupt scheint seine Fähigkeit zur Ironie und Entspanntheit der Wesenszug, den die AfD noch lernen kann. Erasmus war das krasse Gegenteil aller Garstigkeit, Galligkeit und Berserkerhaftigkeit, für die sein Zeitgenosse Luther weit stand.

Für den Erasmus-Biografen Stefan Zweig bestand „das Erasmische“ in der „Kunst, Konflikte abzuschwächen durch gütiges Begreifen“. Hat sich also die falsche Partei genau den richtigen Patron für unsere Debattenkultur ausgesucht? Zur Parteispendenaffäre würde Erasmus jetzt erst mal Horaz zitieren: „O ihr Bürger, zunächst gilt’s, Geld zu erwerben, Tugend erst nach dem Geld.“

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