Saturday, 18th May 2024
18 Mai 2024

Die SPD auf der Suche nach Begeisterung

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WITTLICH – Die SPD sucht händeringend nach Leuchttürmen und Mutmachern. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zählt ganz fest zu dieser Kategorie, das wird beim Parteitag in Wittlich wieder deutlich. Es gibt dann aber auch noch Mitglieder wie den 17-jährigen Jeremias Thiel aus Kaiserslautern, der ein Grußwort spricht, das berührt.

Seine Eltern waren krank und langzeitarbeitslos. Er sammelte leere Flaschen, um sich Schuhe kaufen zu können. Bald macht er sein Abitur, er will in Harvard studieren. „Wir müssen Menschen in Not verstehen“, ruft er in den Saal. Es fehle oft ein Mindestmaß an Respekt gegenüber Menschen, die versuchten, hart zu arbeiten. „Wir müssen geben und vergeben.“ Der Saal applaudiert stehend.

Ovationen für die Ministerpräsidentin

Auch Malu Dreyer erntet Ovationen. Aber weil sie für sich selbst hohe Maßstäbe setzt, muss man sagen: Es war nicht die allerbegeisterndste Rede, die sie je hielt. Dennoch prägt sie das innere Leitthema des Parteitags: Der rheinland-pfälzische Landesverband ist ein Leuchtturm für die Bundes-SPD, eine Insel der Glückseligen. Bezeichnend ist ein Versprecher Dreyers, eine Freud’sche Fehlleistung. Sie sagt: „Rheinland-Pfalz ist das Bundesland Nummer eins…“, korrigiert sich: „…das Bildungsland Nummer eins“, fügt dann aber hinzu: „Bundesland Nummer eins ist auch gut.“ Sie lobt den Markenkern Gebührenfreiheit, betont, die SPD sei die Partei der sozialen Sicherheit, die jedoch ohne innere Sicherheit nicht denkbar sei.

Aber die stellvertretende Bundesvorsitzende Dreyer vermeidet es in ihrer Rede, die Bundesvorsitzende Andrea Nahles zu kritisieren. Oder sie zu verteidigen. Nahles ist nicht in Wittlich, sie muss in Baden-Württemberg das Chaos des dortigen Landesverbands schlichten.

Später, vor Pressvertretern, sagt Dreyer, sie habe sich in ihrer Rede bewusst auf Landesthemen konzentriert. Die Bundes-SPD sei in einer sehr schwierigen Situation. Ihren Teil der Verantwortung übernehme sie schon, sagt Dreyer, „aber man darf dem Bundesvorstand auch nicht alles vor die Tür kehren“.

Parteichef Roger Lewentz, später mit sehr guten 93 Prozent wieder ins Amt gewählt, spricht vor Dreyer. Er macht das gut. Es ist eine geschickte Rollenverteilung zwischen den beiden. Er räumt ihr unangenehme Brocken aus dem Weg. In Wittlich sind das die bitteren Klagen über die Bundespartei. Noch nie habe er so viel Wut und Enttäuschung über die SPD innerhalb und außerhalb der Partei erlebt. „Viele leiden wie ein Hund.“ Der Bundestagswahlkampf 2017: „Worthülsen.“ Entsetzen herrsche wegen der Affäre um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. „Gleich weg mit ihm“, wäre Lewentz’ Devise gewesen. Andrea Nahles ließ solche Entschiedenheit vermissen.

Auch Lewentz lobt den eigenen Landesverband. Den stärksten Beifall erntet er aber, als er die Seinen auf einen „bedingungslosen Kampf gegen Rechts“ einschwört und den rheinland-pfälzischen AfD-Chef Uwe Junge frontal angeht: „Wer in Chemnitz mit den größten Hetzern der Republik marschiert, hat seine üble Gesinnung offenbart.“ Zudem lasse sich die AfD „aus dem Ausland finanziell den Hintern pudern.“

Die Delegierten scheinen hin- und hergerissen. In der Aussprache gibt es Kritik an Nahles, aber auch Appelle zur Solidarität und Hinweise auf die eigene Verantwortung. „Andrea muss einen Gang hochschalten“, grollt Juso-Landeschef Umut Kurt, ein Groko-Gegner. 18 Millionen besorgter Dieselfahrer – „und wir veranstalten Debattencamps“, kritisiert ein anderer. „Wir machen gute Politik, aber wir bringen es nicht rüber“, ist zu hören. Aber auch: Man müsse aus dem Landesverband heraus den Berlinern helfen. „Wir können nicht immer nur sagen, Seehofer ist schuld.“ Und: „Wir können das Ding nicht einfach sprengen.“ Das „Ding“ ist die große Koalition.

Oskar Lafontaine feiert ein Comeback auf dem Wittlicher Parteitag. Er wird zitiert: „Wenn wir uns nicht selbst begeistern, können wir auch andere nicht von uns begeistern.“ Mit diesem Satz leitete Lafontaine beim Mannheimer Parteitag 1995 seinen Sieg gegen Rudolf Scharping im Kampf um den SPD-Vorsitz ein. In Wittlich lauscht Scharping als Ehrengast.

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