Saturday, 4th May 2024
4 Mai 2024

Mainzer Bischof verspricht „nachdenkliche Aufarbeitung“

MAINZ – Sieben Wochen, nachdem eine Studie zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche öffentlich wurde, hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf den Willen zur Aufarbeitung von Missständen im Bistum Mainz bekräftigt. Dies dürfe nicht plakativ, sondern müsse „nachdenklich, konsequent und mit System“ geschehen, sagte Kohlgraf bei einer vom Bistum Mainz veranstalteten Podiumsdiskussion. Oberste Devise müsse sein, nicht über die Opfer zu sprechen, sondern mit ihnen. Am vergangenen Wochenende habe er ein erstes von mehreren anstehenden Gesprächen mit Betroffenen geführt. In diese Treffen gehe er voller Demut, bekannte der Bischof: „Die Kirche ist noch nicht am Ende ihres Lernweges.“

Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim rief als Koordinator der MHG-Studie deren Kernaussagen in Erinnerung. Mindestens 1677 Beschuldigte und 3700 Opfer – das Ausmaß des Missbrauchs sei erschütternd. Die vielfach bemühte Formel vom „Nine-Eleven der katholischen Kirche“ führe allerdings am Kern des Problems vorbei: „Wer so etwas sagt, hat nicht verstanden, worum es geht. Das war kein Angriff von außen.“ Die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie fußt auf der Durchsicht von 38 000 Personalakten aus 27 Diözesen und umfasst den Zeitraum 1946 bis 2014. Die Wissenschaftler der beteiligten Institute in Mannheim, Heidelberg und Gießen (daher der Name MHG-Studie) bekamen das Material allerdings nicht selbst zu Gesicht, sondern mussten sich darauf verlassen, dass die Akten nach ihren Maßgaben in den Bistümern durchforstet wurden. Diese Schwäche der Systematik räumte Dreßing ein. Vielfach lautgewordene Kritik, wonach die Studie auch zu Unrecht Beschuldigte erfasse, bezeichnete er hingegen als „erbärmlich“: In Wahrheit handele es sich nur um „die Spitze des Eisbergs“, es sei von einer hohen Dunkelziffer nicht dokumentierter Fälle auszugehen. Hinzu komme, dass in den vergangenen Jahren einige Akten erkennbar manipuliert oder gar vernichtet worden seien. Und noch eine klare Ansage machte Dreßing: Anstrengungen auf dem Gebiet der Prävention hätten das Problem zwar eingedämmt, dennoch gebe es auch heute sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche.

In einem Interview im Jahr 2010 habe sein Vorgänger, Kardinal Karl Lehmann, eingeräumt, das Thema massiv unterschätzt zu haben, sagte Kohlgraf. Dabei sei man damals noch davon ausgegangen, dass es sich um Verfehlungen einzelner Geistlicher handele, nicht um einen „systemischen“ Missstand. „Wenn er noch leben würde, stünde er jetzt wohl unter Schock.“ Am 27. August 2017, ein halbes Jahr vor seinem Tod, hatte Lehmann den Stab des Mainzer Bischofs an Kohlgraf weitergereicht.

Der Jesuitenpater Klaus Mertes, Direktor des Kollegs St. Blasien, forderte, die Perspektive der Aufarbeitung auf die Opfer zu fokussieren und nicht vorschnell zum Thema Zölibat überzuleiten. Völlig unakzeptabel sei es, wenn sich einige Kleriker zu Opfern stilisierten.

Einen „Auftrag zum Handeln“ liest der Leiter des Ludwigshafener Jugendamtes, Jürgen May, aus der Studie heraus. Veränderungsbedarf sieht er insbesondere bei den Machtstrukturen der katholischen Kirche, denn Missbrauch habe stets mit dem Ausnutzen von Machtpositionen zu tun. „Unter den Folgen leiden Opfer lebenslang. Das ist nicht wegzutherapieren.“

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