Tuesday, 14th May 2024
14 Mai 2024

Mit vollen Segeln in die Vergangenheit

Es soll zugehen wie vor 50 Jahren: Erlaubt sind nur Sextant und Kompass. So will das Golden Globe Race dem Meer seine Abenteuerlichkeit zurückgeben.

Der 73-Jährige Jean Luc van den Heede ist mit seiner Rustler 36 einer der Teilnehmer im Golden Globe Race.

Er hat Stürme überstanden. Ist im Südpazifik gekentert. Aber nicht ganz. Beinahe wäre sein Mast hinüber gewesen. Er dachte daran, aufzugeben. Hat den Mast aber dann doch noch reparieren können. Am 148. Tag hat er Kap Hoorn umrundet. Am 164. die Copacabana gesehen. Heute ist der 180. Tag.

Sehr viel mehr weiß man derzeit nicht von Jean Luc van den Heede, den 73-jährigen Bretonen, der auf einer Elf-Meter-Yacht um die Welt segelt – ebenso wenig wie von einem der anderen Teilnehmer des Golden Globe Race, die seit dem Sommer unterwegs sind und nur über kurze Text-Nachrichten mit der Außenwelt kommunizieren dürfen.

Wie sie sich fühlen in ihrer Einsamkeit, welche Sorgen sie plagen – sie werden es erst später bei ihrer Rückkehr nach Les Sables d’Olonne ausführlich erzählen. Wenn sie können. Von den 18 Soloseglern, die am 1. Juli zu diesem Nonstop-Trip um den Erdball aufbrachen, sind nur noch fünf unterwegs.

Reise in den Wahnsinn

Die Idee für dieses Abenteuer hatte Don McIntyre, ein britischer Einhandsegler. Wie wäre es, ein Rennen von vor einem halben Jahrhundert zu wiederholen?, fragte er sich. Unter denselben Bedingungen. Als es noch keine elektronischen Hilfsmittel und Satellitenverbindungen gab. Es so zu machen wie das Häufchen Pioniere, das 1968 aufbrach, um erstmals ohne Zwischenstopp einmal rumzukommen. Die „Sunday Times“ hatte einen Preis ausgelobt. Nur ein Einziger sollte die epische Reise damals vollenden. Der Brite Robin Knox-Johnston benötigte 312 Tage von England nach England. Seine Holzketsch Suhaili war lächerliche zehn Meter lang. Sein Durchhaltevermögen machte ihn zur Legende.

Es war eine verrückte Idee gewesen, gemessen am Ertrag. Bei Knox-Johnstons Ankunft 1969 in Falmouth schlug ihm nur ein Bruchteil der Begeisterung entgegen, die Francis Chichester zwei Jahre zuvor mit seiner Weltumsegelung auszulösen vermocht hatte, und dabei hatte der in Australien Halt gemacht. Knox-Johnston schrieb ein Buch, das sich kaum verkaufte, sein Preisgeld von 5000 Pfund spendete er der Familie eines Kontrahenten, den die Reise in den Wahnsinn getrieben hatte. So verrückt war die Idee gewesen.

Rendezvous mit Haien

Erst 1989 wurde sie wieder aufgegriffen. Von einem Franzosen, der das Vendée Globe erfand. Seither haben es weniger als hundert Menschen auf Knox-Johnstons Art um die Welt geschafft. Die Nonstop-Tortur ist eine Sache für Profis geworden, die die Strecke auf hochkomplexen, superleichten Carbon-Yachten in der Rekordzeit von zuletzt 72 Tagen bewältigten.

McIntyre hat etwas anderes im Sinn, ein Retro-Rennen, eine Art Manufaktum-Abenteuer für jedermann, das auf die technischen Entwicklungen und explodierenden Ausrüstungsbudgets der vergangenen Jahrzehnte verzichtet. Die Teilnehmer navigieren mit Sextant und Chronometer, ihre Möglichkeit, über Funk mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, ist auf das Nötigste reduziert, Satellitentelefon und GPS-Gerät werden für den Notfall in einer versiegelten Box an Bord aufbewahrt. Die Yachten müssen mindestens 30 Jahre alt und in Serie gebaut sein. Und als Selbststeueranlage dienen mechanische Windfahnen, wie sie bis heute bei Langfahrtseglern gebräuchlich sind. Einträge ins Logbuch werden per Hand vorgenommen, es wird mit Kerosin gekocht und das Wetter selbst beobachtet. In Regenschauern fangen die Segler Trinkwasser auf. Gelegentlich müssen sie über Bord springen, um das Unterwasserschiff vom Muschelbewuchs zu befreien.

Bislang ist dieses Rendezvous mit den Haien noch jedes Mal glimpflich ausgegangen. Andere Probleme dafür nicht so.

Als das Golden Globe Race (GGR) im Sommer in Les Sables d’Olonne gestartet wird, hat kaum einer von den Teilnehmern eine Vorstellung davon, was ihn erwartet. Außer Jean Luc van den Heede, genannt VDH. Der frühere Mathematiklehrer hat die Erde bereits fünfmal alleine umrundet. Einmal in westlicher Richtung, also gegen die vorherrschenden Winde, sein Rekord von 122 Tagen ist ungebrochen. Sowohl beim Vendée Globe wie auch bei der BOC Challenge ist er in den 90er Jahren entweder Dritter oder Zweiter geworden. Ein Platz in den Annalen des Hochseesegelns ist ihm sicher.

Im Geiste der Vorgänger

Trotzdem hat er sich 2015 eine Rustler 36 gekauft, eine „kleine Schnecke“, wie er es nennt, um sich im Geiste von Vorgängern wie Knox-Johnston auf den Weg zu machen. Das liegt durchaus im Trend. Auch sein Landsmann Loick Peyron greift, nachdem er beinahe alle wichtigen Hochseeklassiker gewonnen hat, etliche Rekorde hält, nun ebenfalls auf Boote älteren Typs zurück. Auf die Pen Duick II etwa, ein französisches Nationalheiligtum, mit dem Eric Tabarly als erster Franzose ein Transatlantikrennen gewinnen konnte. Zur Route du Rhum in diesem Herbst trat Peyron dann mit dem Schwesterschiff jenes quietschgelben Trimarans an, mit dem sein Mentor Mike Birch das Rennen 1978 knapp gewonnen hatte.

Nötig hätte Peyron das beschwerliche Fortkommen mit einem antiquierten Bootstyp so wenig wie VDH. Wenn jedes Ziel erreicht ist, jeder Gipfel bestiegen, muss man sich den Weg dahin schwerer machen, als er durch moderne Technik geworden ist. Im Gedenken an frühere Pioniertaten aufzubrechen, stellt eine Verbundenheit her, sagt Jean Luc van den Heede, die er lange vermisst habe. Er sagt, dass er erst jetzt wieder den Zusammenhalt unter den Seglern spüre, den er aus den Anfängen seiner Karriere kennt.

Das GGR ist kaum eine Woche alt, da gibt es die ersten Ausfälle. Er habe es nicht länger ausgehalten, „nicht mit der Familie reden zu können“, sagt der Brite Ertan Beskardes. „Darauf war ich nicht vorbereitet.“ Zuvor war sein Funkgerät kaputt gegangen. Er hätte monatelang auf Nachrichten von daheim verzichten müssen.

Ein Loch im Rumpf

Einen Monat später, die führenden Segler haben den Südatlantik erreicht, erfasst sie ein erster schwerer Sturm. Philippe Péché verliert in Führung liegend sein Ruder. Dann verliert Are Wiig seinen Mast, Francesco Cappelletti seine Selbststeueranlage. Igor Zaretskiy stürzt in heftigem Wellengang so schwer, dass er glaubt, sich eine Rippe gebrochen zu haben. Am 82. Tag wirft es Gregor Mcguckin heftig auf die Seite, er verliert den Mast. „Gekentert“, lässt auch der 39-jährige Abhilash Tomy wissen, „ernsthafte Rückenverletzung. Komme nicht hoch.“

Der Inder, der mit einem Nachbau der Suhaili unterwegs ist, treibt hilflos im Indischen Ozean. „Kann mich nicht bewegen“, meldet er. Eine Rettungsaktion wird eingeleitet, ein französisches Fischereischutzboot nimmt ihn nach vier Tagen an Bord. Loick Lepage wird entmastet. Dabei sind die Bedingungen 600 Meilen westlich von Perth nicht mal besonders rau. Durch ein Loch im Rumpf dringen 40 Liter Wasser pro Stunde. Der Wind nimmt zu. Lepage wird gerettet.

Die Britin Susie Goodall, einzige Frau im rennen, wird vor Chile geborgen.

Susie Goodall ist die einzige Frau. Die Britin berichtet von 13 Meter hohen Wellen und Winden in Orkanstärke. Die Wellenkämme hätten sich vertikal aufgerichtet und seien wie eine Wand aus Ziegelsteinen auf sie niedergestürzt. „Keine Ahnung, wie wir da durchgekommen sind. Die Selbststeueranlage gab ihren Geist auf, ich musste selbst sieben Stunden lang am Ruder sitzen und hatte ständig Angst, überrollt zu werden. Unter Deck ist alles durchnässt. Und mir ist kalt.“

Als VDH Kap Hoorn erreicht, sind nur noch sieben Boote hinter ihm. Dann erwischt es auch Susie Goodall. Die 29-Jährige kippt mit ihrer Yacht kopfüber in ein Wellental. Der Mast bricht. Bis zur chilenischen Küste sind es 2000 Meilen. Ein Notrigg kann sie nicht aufstellen. Auch sie muss gerettet werden.

So zeigt sich das Wie-in-alten-Zeiten-Segeln von genau der brutalen Seite, die erwartet worden war. Je länger sich Segler mit ihren langsamen Gefährten in der Gefahrenzone des Südpolarmeers aufhalten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, einen der starken Stürme abwettern zu müssen. Sogar der souverän führende VDH, obwohl dem Schlimmsten entkommen, muss um sein lädiertes Boot bangen. Dessen Rigg ist nach der Kenterung nur notdürftig stabilisiert, VDH muss mit reduzierter Segelfläche weiterkommen.

Sein Verfolger, der Niederländer Mark Slats, 41, holt deshalb auf. Pro Tag macht Slats durchschnittlich 22 Meilen auf den alten, weißbärtigen Seebär gut, der, wie seine Frau sagt, „das Rennen seines Lebens“ absolviert. Rechnerisch könnte er es knapp als Erster ins Ziel schaffen. Aber was heißt das schon bei Bedingungen, bei denen man mit allem rechnen muss.

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